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Zum Thema Familienrecht
- Freier Wille: Persönliche Ablehnung eines geeigneten Betreuers muss respektiert werden
- Keine Härtefallscheidung: Außereheliche Schwangerschaft ist keine unzumutbare Härte für die Schwangere selbst
- Nachweis akuter Gefahr: Keine zweijährige Zwangsbehandlung von psychisch Kranker ohne konkreten Gefährdungsgrad
- Nicht leibliches Kind: Nach Trennung ist sozialer Vater im Umgang nicht rechtlos
- Unveräußerbares Kindeswohl: Regelung zu Vertragsstrafe in Umgangsvereinbarung ist unwirksam
Wer seine Angelegenheiten nicht (mehr) selbst besorgen kann, weil er dement oder geistig oder psychisch eingeschränkt ist, bekommt einen gerichtlichen Betreuer beigeordnet, wenn er niemanden aus der Familie bevollmächtigt hat. Der Bundesgerichtshof (BGH) musste entscheiden, ob der Wille der Betroffenen oder eine objektive Betrachtung der Situation Antwort auf die Frage geben soll, ob und inwieweit die Befugnisse eines Berufsbetreuers erweitert werden.
Eine knapp 40-jährige Frau hatte schon Jahrzehnte eine solche Betreuung, weil sie unter dem Asperger-Syndrom litt. Der Berufsbetreuer, der sich bislang nur um ihre Post und ihr Geld zu kümmern hatte, wollte nun auch die Gesundheitsfürsorge übernehmen, nachdem die Frau einen Konflikt mit ihrer Krankenkasse nicht selbst lösen konnte und deshalb ein Verfahren am Sozialgericht lief. Die Betreute wollte aber in diesem Bereich lieber durch ihre Mutter vertreten werden.
Gegen den freien Willen eines Volljährigen darf kein Betreuer bestellt werden (§ 1814 Abs. 2 Bürgerliches Gesetzbuch). Das umfasst - so der BGH - nicht nur die Betreuung als solche, sondern auch die Betreuungsperson. Wenn eine Betroffene ausdrücklich eine Betreuungsperson wünscht und das ihr "freier Wille" ist, muss das Gericht dies berücksichtigen. Für einen "freien Willen" bedarf es dabei nicht einmal der Geschäftsfähigkeit. Die beiden entscheidenden Kriterien hierfür sind zum einen die Einsichtsfähigkeit des Betroffenen und zum anderen dessen Fähigkeit, nach dieser Einsicht zu handeln und sich dabei von den Einflüssen interessierter Dritter abzugrenzen. Das Gericht darf dann auch nicht prüfen, ob es objektiv vorteilhafter wäre, dass ein Berufsbetreuer sich kümmert, weil er es besser kann - der "freie Wille" ist höherrangig gegenüber objektiven Vorteilen. Deshalb war es nun hier an einem Gutachter, zu prüfen, ob die Mutter als Betreuerin für die Gesundheitsfürsorge zu bestellen ist.
Hinweis: Gründe, den vom Betreuten mit freiem Willen benannten Betreuer nicht zu bestellen, gibt es nur zwei: Der Betreuer selbst lehnt ab oder er ist objektiv ungeeignet für die Aufgabe.
Quelle: BGH, Beschl. v. 10.01.2024 - XII ZB 217/23
zum Thema: | Familienrecht |
(aus: Ausgabe 04/2024)
Ist eine Verheiratete schwanger, und zwar nicht vom Ehegatten, kann dies durchaus einen Grund für eine sogenannte Härtescheidung sein. Im folgenden Fall war dies der Grund für eine Schwangere, um für sich Verfahrenskostenhilfe (VKH) für die Stellung eines Scheidungsantrags zu beantragen. Das Oberlandesgericht Zweibrücken (OLG) jedoch lehnte ab. Lesen Sie hier, warum.
Die einzige Möglichkeit, ohne Trennungsjahr unverzüglich geschieden zu werden, ist eine Unzumutbarkeit der weiteren Eheführung. Früher wurde eine solche Unzumutbarkeit in einer Schwangerschaft der Ehefrau von einem anderen Mann gesehen - die letzten positiven obergerichtlichen Entscheidungen dazu sind aber auch schon über 20 Jahre alt (z.B. OLG Karlsruhe, Beschluss vom 13.04.2000 - 20 WF 32/00). Auch heutzutage kann ein solcher Umstand Ausschlag dafür geben, das Trennungsjahr auszusparen und früher geschieden zu werden. Die Antragstellerin war hier nicht nur von einem anderen Mann schwanger, sondern trug vor, zudem an Depressionen zu leiden, die ein weiteres Zusammenleben unzumutbar machten. Dennoch lehnte das Familiengericht die VKH ab - es sah schlichtweg keine Aussichten auf Erfolg.
Das OLG schloss sich dieser Auffassung an. Sowohl eine außereheliche Schwangerschaft als auch eine Depressionserkrankung können zwar durchaus Härtefälle darstellen. Auf keinen Fall kann sich aber die Ehefrau selbst darauf berufen, wenn sie den Antrag auf Scheidung vor Ablauf des Trennungsjahres stellt. Denn weder die vorgetragene Depressionserkrankung der Antragstellerin noch die Schwangerschaft seien in der Person des Antragsgegners begründet. Und diese Begründung ist für die Härtefallregelung unverzichtbar. So verweigerte auch das OLG der schwangeren Frau die VKH.
Hinweis: Die Fortsetzung der Ehe muss für den Antragsteller selbst eine unzumutbare Härte darstellen, die in der Person des anderen Ehegatten begründet sind. Das soll verhindern, dass sich der Antragsteller auf eigene gravierende Unzulänglichkeiten berufen kann. Ebenfalls nicht unzumutbar ist ein Abwarten des Trennungsjahres, wenn alle Härten des Zusammenlebens allein schon durch eine räumliche Trennung beendet werden können (beispielsweise bei häuslicher Gewalt).
Quelle: OLG Zweibrücken, Beschl. v. 07.02.2024 - 2 WF 26/24
zum Thema: | Familienrecht |
(aus: Ausgabe 04/2024)
Wer psychisch schwer erkrankt ist und deshalb unter gerichtlicher Betreuung steht, ist naturgemäß nicht immer einsichtig - auch was die notwendige Medikamentierung angeht. Welche Möglichkeiten den Betreuern in derartigen Lagen offenstehen und was vor allem dafür an gerichtlicher Vorarbeit zu leisten ist, zeigt das folgende Urteil des Bundesgerichtshofs (BGH).
Eine 50-Jährige war bereits viele Jahre paranoid und psychotisch. Ihr Medikament schlug nicht mehr an, ein anderes Medikament wollte sie nicht ausprobieren. Deshalb beantragte die Betreuerin eine gerichtliche Genehmigung zur Zwangsbehandlung in einer Klinik, verbunden mit Zwangsunterbringung für zwei Jahre, weil die Dosierung längerfristig erprobt und eingestellt werden müsse. Außerdem bestehe die Hoffnung, dass die Betreute nach einer so langen Behandlung einsichtig genug geworden sei, anschließend ihre Medikamente freiwillig einzunehmen.
Die gesetzlichen Voraussetzungen für eine Zwangsbehandlung psychisch Kranker sind sehr hoch, das ist als Folge ärztlichen Verhaltens im Nationalsozialismus zu verstehen. Allein die Tatsache, dass es vernünftig wäre, eine Langzeittherapie mit einem neuen Medikament zu beginnen, genügt dafür nicht. Auch der psychisch Kranke verdient Respekt vor seinem Willen, solange keine akute, ernstliche und konkrete Gefahr für Leib und Leben des Betreuten vorliegt. Die Hinweise in der Akte darauf, dass die Betroffene durch ihr Wahnerleben so stark beeinträchtigt sei, dass "sie sich nicht mehr ausreichend selbst versorgen (...), keinerlei Gefahren abschätzen (...) und Dritte bedrohen" könne, genügten dem BGH dafür nicht. Erforderlich wären nähere Feststellungen zur konkreten Art der befürchteten selbstschädigenden Handlungen und der durch sie möglicherweise eintretenden erheblichen Gesundheitsschäden. So gab der BGH die Akte an das Landgericht zurück, um die Antworten zum konkreten Gefährdungsgrad zu ermitteln.
Hinweis: Die Entscheidung zeigt das Grundrecht des Menschen zu selbstschädigendem Verhalten auf.
Quelle: BGH, Urt. v. 17.01.2024 - XII ZB 434/23
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(aus: Ausgabe 04/2024)
Im folgenden Fall musste das Oberlandesgericht Frankfurt am Main (OLG) nach dem Amtsgericht Bensberg (AG) über den Umgang mit einem Fünfjährigen entscheiden, dessen Eltern sich noch vor seiner Geburt getrennt hatten. Der Mann, mit dem die Mutter danach zusammenlebte und von dem sie sich nach gut vier Jahren kurz nach der Geburt eines gemeinsamen Kindes wieder trennte, wünschte sich aber weiterhin Kontakt mit dem Fünfjährigen.
Die Mutter, die wieder mit dem Vater des Fünfjährigen zusammenlebte, verweigerte dem Expartner den Umgang mit seinem einstigen Ziehsohn. Doch auch enge Bezugspersonen können ein Recht auf Umgang mit dem Kind haben (§ 1685 Abs. 2 Bürgerliches Gesetzbuch), wenn sie für dieses Kind die tatsächliche Verantwortung tragen bzw. getragen haben und der Umgang dem Wohl des betroffenen Kindes dient. Das AG stellte daher fest, dass der Antragsteller eine ähnlich wichtige Bezugsperson für das Kind wie die leiblichen Eltern sei, da er mit dem Kind über mehrere Jahre in häuslicher Gemeinschaft gelebt und der Junge ihn von Beginn an als "Papa" angesehen habe. Der Bindungsabbruch aufgrund der ablehnenden Haltung der Eltern habe ein solches Maß erreicht, dass sich hieraus eine Gefahr für die Entwicklung des Kindes ergeben könne. Deshalb bestellte das Gericht einen Umgangspfleger, der durchzusetzen habe, dass der Junge in den ungeraden Kalenderwochen von Freitag 15 Uhr bis Montag 9 Uhr und jede Woche dienstags von 15 Uhr bis mittwochs 9 Uhr bei diesem Mann verbringe. Auf die Anhörung des Kindes verzichtete das AG, um den Loyalitätskonflikt nicht zu vertiefen, nachdem die Eltern zum Anhörungstermin des Kindes eine Krankmeldung eingereicht hatten. Die Eltern legten Beschwerde ein und verweigerten in der Zwischenzeit auch die Zusammenarbeit mit der Umgangspflegerin.
Das OLG hob die Entscheidung auf, weil sie nicht ohne die Anhörung des Kindes hätte ergehen dürfen. Das AG hätte sich selbst ein Bild von dem betroffenen Kind machen und notfalls erzwingen müssen, dass die Eltern es dafür zum Gericht bringen - notfalls mit Zwangsgeld oder Zwangshaft. Für das erneute Verfahren beim AG gab das OLG zu bedenken, dass die Umgangsregelung zu großzügig sein könnte, weil sie sich am Üblichen für leibliche Eltern orientierte. Üblich seien stattdessen eher Tagesbesuche. Insbesondere sei zu berücksichtigen, dass zwischen den drei Erwachsenen erhebliche Spannungen herrschen und die Kindeseltern sich vehement gegen einen Umgang ausgesprochen hatten. Es sei daher nur schwer vorstellbar, wie innerhalb eines großzügigen Umgangsrechts erzieherische und organisatorische Absprachen ablaufen sollten.
Hinweis: Anders als der leibliche Vater hat eine "sonstige Bezugsperson" auch während des Umgangs keinerlei Entscheidungsbefugnisse.
Quelle: OLG Frankfurt am Main, Urt. v. 18.01.2024 - 6 UF 224/23
zum Thema: | Familienrecht |
(aus: Ausgabe 04/2024)
Im folgenden Streitfall lag das Familiengericht mit der Regelung außerhalb Europas zum Umgang der Kinder mit ihrem Vater und dessen Zugewinnleistung für die mit den Kindern lebende Mutter nicht gänzlich falsch. Was die nach Gegenwehr der Mutter damit befassten Instanzen - Amtsgericht (AG) und Oberlandesgericht (OLG) - nicht bemängelten, machte der Sache aber vor dem Bundesgerichtshof (BGH) einen Strich durch die Rechnung.
Es standen sich die Zugewinnforderung einer Ehefrau und der Umgangswunsch des Ehemanns mit seinen Kindern gegenüber. Die Kinder lebten mit der Mutter in Peru. Weil sein Umgangsrecht dort schwer durchzusetzen war, machte der Vater die Zahlung des Zugewinnausgleichs in Raten davon abhängig, dass die Umgangsvereinbarung auch tatsächlich klappte: Die jährliche Rate von 20.000 EUR sollte in den nächsten drei Jahren jeweils erst dann fällig werden, nachdem die gemeinsamen Kinder drei Wochen Sommerumgang mit dem Vater in Deutschland gehabt haben. Die Mutter stimmte zu, das Familiengericht protokollierte dies als Vereinbarung und billigte diese im Hinblick auf das Kindeswohl, ohne die Kinder angehört oder das Jugendamt beteiligt zu haben. Dann klagte die Frau auf Unwirksamkeit der Vereinbarung. Weder wollte sie den Vergleich zum Zugewinn akzeptieren noch ein Ordnungsgeld für den Fall riskieren, dass sie den Umgang mit den Kindern vereitelt. AG und OLG gaben ihr nicht recht - doch was sagte der BGH?
Der BGH verwies darauf, dass eine Verknüpfung von Geld und Umgang immer kritisch zu betrachten sei. Kinder dürfen nicht zum Gegenstand eines Handels werden, ihr Wohl darf nicht verkauft werden. Das ist sittenwidrig und wird als unzulässige Kommerzialisierung des Elternrechts beurteilt. Die Gerichte hatten hier zwar keine Zweifel daran, dass der Vater ohnehin ein Recht auf dreiwöchigen Sommerurlaub mit den Kindern habe, und verstanden, dass es ihm nur darum ging, die Lästigkeiten oder Unmöglichkeiten einer Vollstreckung im außereuropäischen Ausland zu beseitigen. Die Vereinbarung hatte daher den Charakter einer Vertragsstrafe. Das wäre bei einem solchen Auslandsfall prinzipiell zwar möglich, weil die Motive nicht kindeswohlwidrig sind. Dennoch sah es der BGH als Problem, dass es kein Umgangsverfahren gegeben hatte, in dem das Kindeswohl geprüft, die Kinder angehört und das Jugendamt beteiligt worden wären. Zudem merkte der BGH an, dass sich das Kindeswohl in den nächsten Jahren ändern und es somit künftig auch gute Gründe geben könne, aus denen der Umgang mit dem Vater in Deutschland nicht stattfinde. Es fehlte eine Regelung dazu, was dann mit dem Zahlungsanspruch der Mutter geschehen solle. Daher kam der BGH nicht umhin, der Mutter recht zu geben und den Vergleich als insgesamt nichtig zu erklären.
Hinweis: Die Entscheidung des BGH führte dazu, dass auch über den Zugewinn neu verhandelt werden musste.
Quelle: BGH, Urt. v. 31.01.2024 - XII ZB 385/23
zum Thema: | Familienrecht |
(aus: Ausgabe 04/2024)