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Zum Thema Familienrecht
- Dreijähriger Umgangsausschluss: Bindungsintolerante Mutter einer Sechsjährigen erreicht ihr Ziel im Umgang mit dem Kindsvater
- Versorgungsausgleich und Mütterrente: Geschiedener Mann bekommt seine Rente zurück
- Väter durch Leihmutterschaft: Biologische Grenzen der Fortpflanzung sind keine steuerlich absetzbare außergewöhnliche Belastung
- Wunsch auf Ausweitung des Umgangs: Umgangsbegleitung durch Richterin macht Sachverständigengutachten nicht unentbehrlich
- Zustimmungserfordernis ersatzlos entfallen: Vaterschaftsfeststellung nach Tod der Mutter auch ohne DNA-Gutachten möglich
Wenn ein Elternteil seine Kinder gar nicht mehr sehen darf, hat er sich für diesen Umgangsausschluss meist etwas zuschulden kommen lassen. Dass jedoch auch durch massive Bindungsintoleranz des anderen Elternteils und Beeinflussung des Kindes gelingen kann, dass Jugendamt und Gericht einen Umgangsabbruch mittragen, zeigt der Fall des Brandenburgischen Oberlandesgerichts (OLG).
Die Eltern einer Sechsjährigen hatten sich schon vor ihrer Geburt getrennt. Die unregelmäßigen Umgangskontakte waren von elterlichen Konflikten geprägt. Als nach einem gerichtlich vermittelten Vergleich mit zaghaftem Umgang begonnen wurde, zeigte die Mutter den Vater bereits nach dem ersten Termin wegen sexuellen Missbrauchs an, woraufhin das Gericht die Umgangskontakte begleiten ließ. Eine Gutachterin konnte die Aussagen des Kindes zum sexuellen Missbrauch nicht verifizieren und schloss zuvor beeinflussende Suggestivfragen der Mutter zudem nicht aus. Sie stellte eine positive Vater-Tochter-Beziehung und den Wunsch des Kindes nach Vaterkontakt fest. Dem meist vertrauensvollen, unbekümmerten und fröhlichen Kind bescheinigte sie ausreichende Ressourcen, die Auswirkungen des elterlichen Spannungsfelds abzupuffern. Sehr wahrscheinlich werden die Kompetenzen und Ressourcen des Kindes allerdings überschritten, wenn die Eltern ihren Mustern treu blieben.
Ein daraufhin beauftragter Umgangsbegleiter bescheinigte dem Vater einen guten Umgang mit seinem Kind. Nachdem aus unterschiedlichen Gründen von November 2021 bis Sommer 2022 gar keine (begleiteten) Umgänge stattfanden, sollten diese ab August 2022 weitergehen. Das Mädchen zeigte nun eine zunehmende Verweigerungshaltung, so dass das Jugendamt nach einigen vergeblichen Versuchen im Dezember 2022 entschied, keine Umgangsbegleitung mehr anzubieten. Das Mädchen könne sich aufgrund seines Alters nicht ausreichend gegenüber der bindungsintoleranten Mutter abgrenzen und auf einen Umgang mit dem Vater einlassen.
Auch wenn eine Beeinflussung des Kindes durch die Mutter vorliegen sollte, ist ein Umgang gegen die weiter anhaltende ablehnende Haltung des Kindes mit einer erheblichen Gefahr für die weitere Entwicklung verbunden. Durch die Erfahrung der Missachtung der eigenen Persönlichkeit kann ein gegen den ernsthaften Widerstand des Kindes erzwungener Umgang unter Umständen mehr Schaden verursachen als Nutzen bringen. Dabei kommt es laut OLG auf eine mögliche Beeinflussung durch die Mutter nicht an, denn mit den bereits sachverständigenseits getroffenen Feststellungen löst das Kind den bestehenden Loyalitätskonflikt für sich mit einer derzeitigen kompletten Ablehnung des Vaters. Zudem wies das OLG darauf hin, dass die vorliegend fehlende Mitwirkungsbereitschaft des Jugendamts durch eine gerichtliche Anordnung nicht überwunden werden kann. Dem Familiengericht steht weder gegenüber dem Jugendamt noch gegenüber freien Jugendhilfeträgern eine Anordnungskompetenz zur Begleitung von Umgängen zu. Auch stelle eine Trennung von der Mutter als Hauptbezugsperson mit der zu erwartenden Traumatisierung eine größere Gefahr für die weitere Entwicklung dar als der vorläufig weiterhin fehlende Kontakt zum Vater. Eine solche Maßnahme wäre daher ungeeignet und unverhältnismäßig und deshalb unzulässig. Aus diesen Gründen bestätigte das OLG einen dreijährigen Umgangsausschluss.
Hinweis: In Brechts Drama "Der kaukasische Kreidekreis" bekommt von zwei streitenden Müttern diejenige das Kind zugesprochen, die aus Mitleid mit dem Kind loslässt und nicht mehr an ihm zerrt. Vor Familiengerichten funktioniert diese salomonische Lösung selten.
Quelle: Brandenburgisches OLG, Beschl. v. 12.10.2023 - 9 UF 115/23
zum Thema: | Familienrecht |
(aus: Ausgabe 12/2023)
2014 wurde die sogenannte Mütterrente I und 2019 die Mütterrente II eingeführt, mit der Frauen aus Kindererziehungszeiten eigene Rentenpunkte erwerben: 1,0 Entgeltpunkte plus 0,5 je Kind in der gesetzlichen Rentenversicherung. Wie sich diese Rentenpunkte nachträglich auf einen bereits berechneten Versorgungsausgleich auswirken, war Kern des Falls, der bis vor den Bundesgerichtshof (BGH) ging.
Für einen Mann, der 1998 geschieden worden war und beim Versorgungsausgleich Rentenpunkte an die Geschiedene abgegeben hatte, stellte sich nun die Frage, ob der damalige Ausgleich retrospektiv gerecht war. Denn das gemeinsame Kind war während der Ehe geboren worden, und die diesbezüglichen Rentenpunkte waren ja erst durch das neue Gesetz nach der Scheidung gutgeschrieben worden. Dem Mann, der inzwischen in Rente gegangen war, fehlten nun Anteile im Wert von damaligen 311 DM monatlich. Bei der früheren Ehefrau kam davon nichts mehr an, denn diese war inzwischen verstorben. Die "Mütterrente" sollte nun aber der Grund für eine sogenannte Totalrevision des Versorgungsausgleichs sein - der Mann wollte alles nochmal neu ausgerechnet haben. Das ist grundsätzlich denkbar, wenn sich die Entscheidung zum Versorgungsausgleich wegen späterer tatsächlicher oder rechtlicher Änderungen als unrichtig herausstellt.
Der BGH orientierte sich an den sogenannten Wesentlichkeitsgrenzen: mindestens 5 % des bisherigen Ausgleichswerts (relativer Betrag) und 1 % der maßgeblichen monatlichen Bezugsgröße (absolute Bagatellgrenze). Diese Wesentlichkeitsgrenze der Änderung war hier überschritten, denn der Wertunterschied wegen der Mütterrente belief sich bei der Frau auf monatlich 74 DM - das waren fast 50 %. Im Ergebnis wurde der damalige Versorgungsausgleich neu berechnet - und weil die Frau inzwischen verstorben war, bekam der Mann seine Rente im Wert von monatlich 311 DM zurück.
Hinweis: Die Mütterrente wirkt sich erheblich aus, wenn die Mutter in den ersten 30 Lebensmonaten des Kindes keine versicherungspflichtigen Einkünfte hatte. Für solche Altfälle lohnt sich die Überlegung, ob man den Versorgungsausgleich deshalb neu berechnen oder rückgängig machen kann. Dabei darf der Rechtsbeistand nicht zaudern, denn die Neuberechnung wirkt sich erst ab Antragstellung bei Gericht aus, nicht rückwirkend.
Quelle: BGH, Beschl. v. 23.08.2023 - XII ZB 202/22
zum Thema: | Familienrecht |
(aus: Ausgabe 12/2023)
Zwei Männer, die seit 2017 verheiratet sind, haben im selben Jahr über eine Leihmutter in den USA ein Kind bekommen, das bei ihnen in Deutschland lebt. Die erheblichen Kosten, die rund um die Zeugung des Kindes entstanden waren, wollten die Männer als außergewöhnliche Belastung bei der Einkommensteuer absetzen (§ 33 Abs. 1 Einkommensteuergesetz). Da das Finanzamt die Kosten nicht anerkannte, ging die Sache bis vor den Bundesfinanzhof (BFH).
Nach deutschem Recht war die Vorgehensweise wegen des Embryonenschutzgesetzes verboten - mit dieser Begründung verweigerte das Finanzamt, die Kosten anzuerkennen. Die Männer argumentierten, dass die Aufwendungen denen entsprechen, die jemand bei Vorliegen einer Erkrankung hat, sie seien schließlich ungewollt kinderlos geblieben. Die Zeugungs- oder Empfängisunfähigkeit gilt nach der Defintion der WHO als Erkrankung. Hinzu komme, dass der starke unerfüllte Kinderwunsch eine Depression ausgelöst habe, die mit der Zeugung des Kindes behandelt worden sei.
Den Argumenten der Männer stimmte der BFH nicht zu: Die ungewollte Kinderlosigkeit der Kläger gründe nicht auf einem regelwidrigen körperlichen Zustand eines oder beider Partner, sondern auf den biologischen Gegebenheiten. Die Vorstellung, die Reproduktion eines Kindes im Wege der Ersatzmutterschaft sei als eine medizinisch indizierte Heilbehandlung zu betrachten, sei nicht mit dem Grundrecht des Kindes auf Unantastbarkeit der Menschenwürde vereinbar. Denn ein solches Verständnis würde das Kind zu einem bloßen Objekt herabwürdigen, das zur Linderung einer seelischen Krankheit des Mannes diente. Der Entschluss, eine Ersatzmutterschaft zu begründen, beruhte auch nicht auf einer rechtlichen, tatsächlichen oder sittlichen Zwangslage, sondern auf der freiwilligen Entscheidung, ein Kind zu haben. Hinzu kam dann noch der schon vom Finanzamt genannte Grund, dass die den Aufwendungen zugrundeliegenden Maßnahmen nicht mit der deutschen Rechtsordnung im Einklang standen.
Hinweis: Aufwendungen eines gleichgeschlechtlichen (Ehe-)Paars im Zusammenhang mit einer Ersatzmutterschaft sind nicht als außergewöhnliche Belastung steuerlich zu berücksichtigen. Kosten, die der Heilbehandlung ungewollter Kinderlosigkeit dienen, sind hingegen als absetzbare Ausgaben anerkannt.
Quelle: BFH, Urt. v. 10.08.2023 - VI R 29/21
zum Thema: | Familienrecht |
(aus: Ausgabe 12/2023)
In Umgangsstreitigkeiten muss das Familiengericht alle Erkenntnismöglichkeiten ausschöpfen, bevor es entscheidet. Ob eine Familienrichterin bei aller Erfahrung aber auch geeignet ist, ihr Urteil auf eigene subjektive Erfahrung zu stützen, ohne in der Angelegenheit auf die Expertise von Sachverständigen zurückzugreifen, musste das Oberlandesgericht Hamm (OLG) entscheiden.
Den im Jahr 2008 geborenen schwerstbehinderten Sohn wollte der Vater alle 14 Tage am Wochenende in seiner Wohnung betreuen. Die Mutter meinte, der Vater könne dies nicht so gut wie sie und werde dem Kind deshalb schaden. Ein Gutachter beobachtete den Vater-Sohn-Kontakt, äußerste sich zu verschiedenen pflegerischen Fragen, aber nicht zum Kindeswohl - das lag außerhalb seiner Profession. Die Familienrichterin telefonierte daraufhin mit der Kinderärztin und begleitete höchstpersönlich einen Umgangskontakt zwischen Vater und Sohn. Mit dem Kind konnte sie dabei nicht kommunizieren. Anschließend bewilligte sie dem Vater auch die Übernachtungskontakte.
Mit ihrer Beschwerde beim OLG hatte die Mutter zumindest vorläufig Erfolg, denn die Akte wurde wegen Verfahrensfehlern zurück in die erste Instanz gegeben. Die Richterin hätte die angestrebte Ausweitung des Umgangs mit einem Sachverständigengutachten eines Kinder- und Jugendpsychologen prüfen lassen müssen statt durch eigene Ermittlungen. Das vorliegende Sachverständigengutachten gebe nämlich zum Kindeswohl beim Umgang nichts her, weil der Arzt sich nur zu den behinderungsbedingten und pflegerischen Fragen geäußert habe. Bei der Frage, ob die angestrebten Umgangskontakte mit dem Kindeswohl vereinbar sind, sei aber zusätzlich zu prüfen, wie sich die pflegerische Versorgung durch den Kindesvater auf den Sohn sowohl psychisch als auch gesundheitlich auswirke. Die telefonisch kontaktierte Kinderärztin verfüge nicht über die notwendige psychologisch-psychiatrische Qualifikation, das zu beurteilen. Und auch die Beobachtung des Umgangskontakts durch die Richterin könne die sachverständige Klärung nicht ersetzen.
Hinweis: Der Einschätzung von Sachverständigen kommt in Gerichtsverfahren hohe Bedeutung zu, weil die Richter ihre eigene Einschätzung nicht wichtiger nehmen dürfen als die Bewertung durch Fachleute. Hausbesuche und Umgangsbegleitung von Familienrichtern sind deshalb eine absolute Ausnahme - in diesem besonderen Fall sollten sie womöglich die Anhörung des Kindes ersetzen.
Quelle: OLG Hamm, Beschl. v. 17.10.2023 - 4 UF 89/23
zum Thema: | Familienrecht |
(aus: Ausgabe 12/2023)
Auch wenn das Abstammungsrecht grundsätzlich darauf abzielt, die biologische Abstammung abzubilden, räumt das Gesetz der "biologischen Wahrheit" bei der Abstammung keinen unbedingten Vorrang ein, wenn die sozialen Beziehungen so sind, dass die Beteiligten das Bedürfnis der rechtlichen Bindung zueinander haben. Was aber, wenn die Mutter schon verstorben ist und daher nicht mehr zustimmen kann, um einem Mann den Wunsch zur rechtlichen Vaterschaft zu erfüllen? Ein Fall, der bis zum Bundesgerichtshof (BGH) ging, gibt Antwort.
Ein Mann wollte im Jahr 2021 eine bereits 58 Jahre alte Frau als seine Tochter anerkennen. Er gab die entsprechende Erklärung beim Notar ab, die 58-Jährige stimmte zu. Das Standesamt verweigerte aber die Eintragung und forderte eine gerichtliche Vaterschaftsfeststellung mit Abstammungsgutachten. Auch zwei Gerichtsinstanzen fanden es wichtig, dass in einem solchen Fall die biologisch-genetische Abstammung tatsächlich geprüft werde.
Nicht der BGH: Durch den Tod der Mutter sei das Zustimmungserfordernis ersatzlos entfallen. Wenn das Kind zustimme - ab über 14 Jahren selbst, zuvor durch seinen gesetzlichen Vertreter -, genüge das. Bis zum Kindschaftsrechtsreformgesetz 1998 war die Zustimmung der Mutter ohnehin gar nicht vorgesehen. Das Verfahren lief früher allein zwischen dem Vater und dem Jugendamt ab. Durch die Einführung des § 1595 Abs. 1 Bürgerliches Gesetzbuch wollte der Reformgesetzgeber die Rechtsstellung der Mutter bei der Anerkennung der Vaterschaft stärken, indem er ihr ein eigenes Zustimmungsrecht einräumte. Man hatte erkannt, dass es der Mutter nicht ganz gleichgültig sein dürfte, wer rechtlicher Vater ihres Kindes ist. Stirbt diese jedoch vor der Entscheidung einer solchen Frage, erlischt auch das Zustimmungserfordernis.
Hinweis: Dass die biologische Wahrheit nicht wichtiger ist als die sozialen Beziehungen, ergibt sich auch daraus, dass ein Samenspender nicht rechtlicher Vater werden kann, wenn ein anderer Mann sozialer Vater des Kindes geworden ist und deshalb auch rechtlicher Vater sein möchte.
Quelle: BGH, Beschl. v. 30.08.2023 - XII ZB 48/23
zum Thema: | Familienrecht |
(aus: Ausgabe 12/2023)